Medellin
Der Besuch von Medellin, einem Ort, der immer noch in furchtbarer Erinnerung and Drogenkriege ist, wurde uns mehrfach empfohlen. Und wir haben es nicht bereut. Dazu mehr weiter unten.
Vorher aber führt uns die Reise nach Salento. Tjorven schwärmt schon seit Wochen von den Wachspalmen, die am südlichen Rand des Parque Nacional de los Nevados vorkommen. Salento ist ein hübsches kleines Dorf, das vom entsprechenden Tourismus lebt und Ausgangsort für zahlreiche Wanderungen, namentlich im westlich gelegenen Cocoratal ist.
Man gelangt am besten per Taxifahrt mit einem der zahlreichen Willys Jeeps dorthin und wir haben an drei Tagen die Gegend zu Fuss erkundet.
Die Fahrt von dort nach Medellin ist eine Tagesreise, rechnet man Verkehrsstauungen wegen Überlastung der Strasse und unfallbedingte Teilsperrungen mit ein. So hat uns ein auf der Bergstrasse umgekippter Lastwagen (ein Rätsel, wie der das bergauf geschafft hat) anderthalb Stunden gekostet. Es scheinen keine Menschen zu Schaden gekommen zu sein aber das Chaos an der Unfallstelle war schon beeindruckend.
Unsere Unterkunft in Medellin ist eine Privatwohnung, die wir auf Booking.com. gefunden haben. Emily residiert in einem geschützten Parkplatz um die Ecke. Freies Parken an irgendeiner Strasse ist in Kolumbien nicht empfehlenswert, vor allem nicht in grösseren Ortschaften. Die Sicherheit hat sich in diesem Land in den letzten Jahren erheblich verbessert, dennoch ist es hier noch lange nicht so entspannt wie etwa in Argentinien.
Medellin ist untrennbar verbunden mit seiner etwa 60 Jahre dauernden bürgerkriegsähnlichen Geschichte, dem Drogenkartell des Grossverbrechers Pablo Escobar, mit Mord, Totschlag, Angst und Schrecken.
Wir nehmen hier neben unseren eigenen Streifzügen an zwei halbtägigen Führungen teil, die erste im Stadtzentrum, die andere im ehemals äusserst berüchtigten Distrikt 13, unter Führung eines jungen Einwohners dieses Stadtteils, um sehr viel über die jüngere Geschichte Kolumbiens, den Drogenhandel, die Kartelle und vor allem auch über die dramatische und fast magisch anmutende Wende der letzten 10 Jahre zu erfahren. Wir empfehlen wärmstens die Lektüre entsprechender Quellen. Ganz kurz zusammengefasst hier ein Abriss: Kolumbien hat sich aufgrund idealer Voraussetzungen zum weltweit grössten Kokainproduzenten der Welt entwickelt: Klimatische ideale Voraussetzung für den Anbau von Kokapflanzen. Weite Teile des Landes sind von (beinahe) undurchdringlichem und deshalb praktisch unkontrollierbarem Dschungel bedeckt. Auf dem Lande leben Scharen von mausarmen Bauern, die aufgrund eingebrochener Preise für traditionelle landwirtschaftliche Produkte kaum eine Perspektive haben. Ein politisches Gefüge, in dem sich die Macht zwischen linksgerichteten Guerillagruppen, rechtsgerichteten paramilitärischen Milizen und einer schwachen Staatsmacht aufteilt und in dem alle Gruppierungen in unterschiedlichem Ausmass letztlich vom Drogenhandel mit profitieren. Was Medellin betrifft, hat besagter Pablo Escobar es auf diesem Nährboden mit Geschick und unsäglicher Skrupellosigkeit geschafft, hier innerhalb von nur zwanzig Jahren ein das gesamte Gebiet umfassendes Drogenimperium zu errichten, gegen das der Staat faktisch machtlos war. Mehr dazu unter https://de.wikipedia.org/wiki/Pablo_Escobar .
Der botanische Garten heute und das ehemalige Verwaltungsgebäude "Palacio Nacional" der Stadt, heute unter anderem Ausstellungsforum für zeitgenössisch Künstler
Nach seiner Ermordung 1993 zerfiel das Medellin-Kartell rasch, indessen sorgten nunmehr eine Unzahl von rivalisierenden Gangstergruppen und Unterkartellen für noch viel prekärere Zustände. In Spitzenzeiten gab es in Medellin 20 Ermordungen täglich, Entführungen waren an der Tagesordnung und niemand getraute sich mehr auf die Strassen, wenn er nicht unbedingt musste. Interventionen von Polizei und Armee waren mit hohen Verlusten auf beiden Seiten verbunden und führten im besten Fall zu Verschiebungen im Machtgefüge. Irgendwann hat der Staat eingesehen, dass dem Problem mit Gewalt nicht beizukommen war und hat damit begonnen, zu verhandeln. Die entsprechenden Deals sahen etwa so aus: Wer sich ergibt durchläuft ein 10-jähriges ziviles Ausbildungs- und Schulungsprogramm in einer Art Halbgefangenschaft und bleibt nach erfolgreicher Absolvierung straffrei, erhält bei Bedarf eine neue Identität und wird in ein ziviles Leben entlassen. Der offenbar spektakulärste Deal war das Waffenstillstandsabkommen 2016 mit der linksextremen FARC (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia), umstritten und letztlich nur etwa zu 70% erfolgreich.
Was den von uns besuchten Distrikt 13 betrifft: Die Rivalität zwischen Kartellen und nachgeschalteten Gangstergruppierungen waren dort bis 2016 besonders violent. Heute kann man in diesem Stadtteil gefahrlos herumspazieren, es gibt kaum mehr physische Gewalt, weniger Diebstahl als im Stadtzentrum, dagegen viel pulsierendes Leben mit einem blühenden Tourismus. Wie ist das möglich? Die Stadtverwaltung hat 2016 eine noch heute ziemlich umstrittene Vereinbarung getroffen, gemäss welcher die Gangstergruppen auf Ermordungen und offene Gewalt verzichten und für Sicherheit im öffentlichen Raum sorgen. Als „ Entgelt“ erhalten sie von den Bewohnern und ansässigen Gewerbetreibenden etwa 1,5% von deren Einkommen - also faktisch ein Schutzgeld - und werden im Übrigen in Ruhe gelassen.
Initiativen der Stadtverwaltung und Bürgerinitiativen verbessern die Situation von Kindern und Jugendlichen. Ein Beispiel ist die Förderung der HippHopp Kultur, in deren Rahmen u.A. Graffiti unterrichtet und gefördert werden, inzwischen ein regelrechter Tourismusmagnet.
Fazit: 3 Kartelle und über 200 Gangstergruppen gehen in Medellin derzeit praktisch ungestört dem Drogengeschäft nach. Guerillas und rechtsextreme paramilitärische Einheiten existieren nach wie vor, operieren aber mehr aus dem Hintergrund. Die Kokainproduktion Kolumbiens steigt stetig. Diese Probleme sind also keineswegs gelöst. Für die Bevölkerung hat sich aber innerhalb ungeahnt kurzer Zeit vieles in unglaublichem Ausmass verbessert. Bessere legale Verdienstmöglichkeiten durch den zurückkehrenden Tourismus und den geförderten Anbau legaler Produkte, allen voran Kaffee, mögen zunehmend Alternativen darstellen. Dass das globale Kokainproblem dadurch merklich abnehmen wird, wagen wir aber stark zu bezweifeln.
Nach vier bereichernden und ungemein interessanten Tagen in Medellin ziehen wir weiter nach Guatapé.
Wir haben über IOverlander bzw. Airbnb eine Unterkunft der Extraklasse zu einem spitzenmässigen Preis gefunden und wollen hier zwei Nächte bleiben und die Erlebnisse Medellins abklingen lassen.
Guatapé ist eine Gemeinde, die bekannt ist für ihr buntes, historisches Zentrum mit den Reliefkunst gestalteten Häusersockeln, als auch für den monolithartigen Granitfelsen. Die ursprünglich landwirtschaftlich geprägte Gemeinde wurde durch den Bau des Stausees Peñol- Guatapé in den 70-ger Jahren zu einem Tourismus- Hotspot, die von uns befürchteten Menschenmassen bleiben glücklicherweise aus.
Der Fels von Guatapé lässt sich über etwa 690 Stufen erklimmen. Seine höchste Stelle misst 2135 MüM und ist somit 220 m über dem Fuss des Felsens. Von dort oben hat man einen beeindruckenden Blick über die durch den Stausee veränderte Landschaft. Der Stausee wurde zur Stromerzeugung errichtet, heute dient er auch der Freizeitgestaltung und Erholung. Bemerkenswerterweise ist er stark verzweigt und bildet so viele Inseln, die eine Bebauung mit den tollsten Liegenschaften zulassen.
Ihr Lieben, toll geschrieben und genau die Situation erfasst. Unser Eindruck war, dass auch der massive Ausbau der Infrastruktur zur Veränderung der Situation beigetragen hat. Die Menschen aus den Randgebieten, aus den Comunas können jetzt besser am Leben teilhaben. Noch eine Bemerkung von Bettina zum Thema Drogen, solange wir den Bedarf erzeugen wird sich an der Situation nichts ändern. unser Gedanke seit Jahren, Freigabe von Drogen und damit die Gewinnspanne reduzieren. liebe Grüße, genießt die Zeit, wir sind jetzt in Chile
Guten Morgen (bei mir), ihr Lieben
Auf der einen Foto könnte Claus glatt als Einheimischer durchgehen! Irene und ich starten bald auf die Rallye Alaska-Mexico. Seid ihr Ende September noch in Mexico (Cabo San Lucas)?
Liebe Grüsse und weiterhin eine gute Reise
Manuel